Die Entwicklung einer Gruppe – Teil 1
Schön einige Male hast Du in meinem Blog gemeinsam mit mir einen Blick auf Gruppen geworfen. So z. B. in den Artikeln Gruppenstrukturen oder Gruppendynamik und Gruppenprozesse. Heute machen wir den nächsten Schritt und schauen uns die Entwicklung einer Gruppe ein wenig genauer an.
Gruppen sind keine starren Gebilde, sondern entwickeln sich stetig – wenn auch nicht immer nur voran. Diese Entwicklungen haben großen Einfluss auf verschiedene Aspekte der Gruppe, z. B. die Bildung, die Rollenverteilung oder des Verhalten der Mitglieder untereinander und nicht zuletzt die Leistungsfähigkeit des gesamten Tools.
Inhalt
Gruppendynamik und Analyse
Menschen sind per se soziale Wesen und streben danach ein Teil einer Gemeinschaft zu sein. Als Einzelner hast Du zwar die volle Entscheidungsfreiheit und kannst Deine Individualität vollständig ausleben, dennoch sind alle Menschen abhängige und kooperative Wesen, die die Nähe und Zugehörigkeit einer Gruppe suchen. Und sobald solche Gruppen bilden, entstehen gemeinsame Verhaltensweisen, Werte und Einstellungen. Das nennt man Gruppendynamik.
Gruppendynamik bezeichnet die Entstehung oder auch bewusste Lenkung von Verhaltensweisen, Einstellungen, Regeln und Werten, die sich durch die Interaktion in einer Gruppe ergeben.
Damit Du erfolgreich mit Gruppen arbeiten kannst, solltest du diese Dynamik verstehen und bei Bedarf steuern können. Wesentlich dafür sind dabei drei Punkte:
- Welches Ziel verfolgt die Gruppe? (Aufgabenebene)
- Welche Beziehungsebene hat die Gruppe? (Beziehungsebene)
- Wie geht die Gruppe mit Regeln um? (Normenebene)
Schauen wir uns diese drei Ebenen ein wenig genauer an:
Aufgabenebene
Ziele der Gruppe
- Was ist das Ziel der Gruppe?
- Gibt es Hinweise für versteckte Ziele? Wenn ja, welche?
- Welches der Mitglieder an den Zielen zugestimmt?
- Welche Gruppenmitglieder haben die Ziele definiert oder sich dazu geäußert?
Mittel der Zielverfolgung
- Wie geht die Gruppe mit Beiträgen der Mitglieder um?
- Wie geht sie mit der Zeit um?
- Wie hält die Gruppe Arbeitsergebnisse fest?
Wie fällt die Gruppe Entscheidungen?
- Durch Konsens/Übereinstimmung
- Durch scheinbare Einstimmigkeit
- Durch das Majoritätsprinzip
- Durch Cliquenbildung
- Durch den Druck, Anmaßung, Autorität eines einzelnen Mitglieds
- Durch Zweierzusammenschluss
- Aufgrund von Druck
Beziehungsebene
Beteiligung
- Wer spricht mit wem? In welcher Reihenfolge? Wie oft?
- Wechselspiel zwischen Ruhe/Aktivität
- Häufigkeit, Intensität und Dauer von Wortmeldungen
- Wer schaut wen an? In welcher Reihenfolge?
Wer bringt die Ideen ein, denen die Gruppe folgt?
- Laissez-faire, also eine gleichgültige, unbeteiligte Rolle des Gruppenleitenden
- Friedliches Verhalten, es wird beschwichtigt und alles Negative außen vor gelassen
- Demokratisches Verhalten, alle Meinungen werden gehört und respektiert
Einfluss und Verhaltensweisen
- Wem hören immer alle zu?
- Wer wird selten oder gar nicht gehört?
Klima und Zusammenhalt
- Wie lebhaft ist der Kontakt der Mitglieder?
- Wie stark ist die Neigung, die Distanz zur Außenwelt zu vergrößern?
- Entwickeln sich negative Fremdbilder (Heterostereotype)?
- Wie groß ist die physische Distanz der Mitglieder untereinander?
Normebene
- Wie sollen Konflikte behandelt werden?
- Darf über die Arbeitsverfahren der Gruppe reflektiert werden?
- Wie viel Energie wird verwendet, um Gruppennormen zu erstellen?
- In welcher Weise sollen Entscheidungen gefällt werden?
- Worüber soll nicht gesprochen werden?
- Darf Gefühlen Ausdruck verliehen werden?
Phasen der Gruppenentwicklung
Einzelne Mitglieder haben häufig verschiedene Hintergründe, wenn sich eine Gruppe bildet. Häufig kennen sich die einzelnen Mitglieder nicht einmal, wenn eine Gruppe neu gebildet wird, weshalb es meist nicht möglich ist, schnell und effizient an einem gemeinsamen Ziel zu arbeiten.
Eine neu gebildete Gruppe durchläuft im Allgemeinen verschiedene Phasen. Dafür gibt es verschiedene Modelle, die diese Phasen beschreiten sollen. In den unterschiedlichen Modellen sind zwischen drei und fünf Phasen beschrieben, auch wenn nicht jede Gruppe alle Phasen durchlaufen muss.
Diese Modelle sollen dabei helfen zu beurteilen, wo sich eine Gruppe aktuell befindet und wie „Arbeitsfähig“ diese ist. Außerdem kannst Du dadurch eventuelle Maßnahmen ableiten, die der Gruppe helfen könnten. Dadurch kannst Du besser entscheiden, wie Du mit der Gruppe umgehen kannst, was das weitere Vorgehen sein kann oder welche Methoden genutzt werden sollten.
Die Kennenlern- bzw. Orientierungsphase
Kennzeichen für diese Phase:
- Unsicherheit, Distanzierung, evtl. Zurückgezogenheit
- Bildung von Untergruppen
- Personen versuchen, sich von ihrer „besten Seite“ zu zeigen
- allgemeines Abtasten und Orientieren
- Gefühl der Verlorenheit und des Fremdseins
- Testen der Leitung, um sie und ihre Persönlichkeit einschätzen zu können.
Machtkampfphase
Häufig kommt es in dieser Phase zu Status- und Machtkämpfen. Die Phase wird gekennzeichnet durch
- Abgrenzung und Polarisierung
- erste Gruppenführung wird erkennbar
- Beziehungsklärungen
- erste klare Rollen werden erkennbar
- Konflikt und Konfrontation, konfliktgeladene Stimmung
- evtl. Kritik an der Leitung
- Verteidigungsmanöver
- Auseinandersetzungen um die Gruppenrollen
- Weitere Untergruppen
In dieser Phase geht es zum ersten Mal für eine neue Gruppe ums „Eingemachte“. Es kann passieren, dass die mögliche emotionale Belastung dazu führt, dass Mitglieder die Gruppe verlassen werden.
Nach dem ersten Kennenlernen und den ersten Statuskämpfen beginnen die Gruppenmitglieder mehr Vertrauen zueinander aufzubauen. Dadurch hat die nächste Gruppe auch ihren Namen bekommen.
Vertrautheitsphase
- Harmonie und Gruppenzusammenhalt
- Ein Wir-Gefühl entwickelt sich
- Konkurrenzdenken wandelt sich und Zusammenarbeit wird möglich
- Vertrautheit, Konsens, Kompromisse und Kooperationen bilden sich
- Jeder hat seinen Platz in der Gruppe gefunden
- Die Rollen sind verteilt
Diese Entwicklungen festigt die Gruppe und macht sie produktiver. Ab sofort wird es schwieriger neue Leute in die Gruppe zu integrieren. Kommen dennoch neue Leute mit dazu, könnte die Gruppe in die vorherige Phase „zurückfallen“.
Differenzierungsphase
- Das Wir-Gefühl der Gruppe ist so stark, dass einzelne Mitglieder (wieder) eigene Bedürfnisse, Wünsche und Gefühle in die Gruppe einbringen können.
- Die Gruppe öffnet sich und hat das Bedürfnis, sich zu erweitern.
- Es werden Kontakte zu Gruppenfremden gesucht.
- Die Gruppe bietet Rückhalt und bietet ein sicheres Rückzugsgebiet, so dass eine Orientierung nach außen möglich und erwünscht wird.
Abschluss- oder Trennungsphase
- Unruhe und Unzufriedenheit aufgrund der Auflösung der Gruppe.
- Einzelne Mitglieder lösen sich von der Gruppe, in dem sie sich neue Bestätigungsfelder oder alternativen sozialen Rückhalt in anderen Gruppen suchen.
- Die Gruppe wird weniger funktionsfähig.
Fazit
Ganz häufig bist du Teil einer Gruppe, nimmst damit eine Rolle ein und bist damit Teil eines Ganzen. Eines Systems, welches seine eigenen Eigenheiten, Regeln und Werte mit sich bringt. Meiner Meinung nach kann es nur nützlich sein, wenn Du die Eigenarten einer Gruppe kennst und damit umgehen kannst.
Es ist bemerkenswert, wie eine gesamte Gruppe mit den richtigen Mitteln gesteuert und zu ihren Gunsten beeinflusst werden kann, wenn Du weißt an welchen Stellschrauben Du drehen musst. Vielleicht war der heutige Artikel Dein erster Schritt in diese Richtung.
Teil 2
Mit dem nächsten Artikel schauen wir uns die Kompetenzen innerhalb einer Gruppe und das Thema Gruppenführung an.
2 thoughts on “Die Entwicklung einer Gruppe – Teil 1”
Guten Tag Herr Bischoff,
spannendes Thema und danke für den Artikel. Immer wieder begegne ich diesen Herausforderungen. Einerseits natürlich auf jedem Seminar und jeder Weiterbildung (also in Form eines fachlichen Inputs) und andererseits ganz real bei meiner täglichen Arbeit. Was ich ganz wichtig finde: Diese Phasen nach Tuckman, die sich als quasi-Standard etabliert haben, sind ein iterativer Prozess. D.h. sie werden mehrmals durchlaufen (eigentlich immer wieder), die eine mehr, die andere weniger. Und die Abfolge ist nicht zwingend festgelegt. Was für meinen Geschmack häufig zu kurz kommt, ist die tatsächliche Auswirkung bzw. der Umgang mit den resultierenden Themen. Kommunikation ist hier ein wichtiger Punkt, aber auch das Verständnis und die Art und Weise des Miteinanders. Abseits meiner Tätigkeit als Data Engineer bin ich Theaterpädagoge in Ausbildung und wie es der Zufall so will habe ich für meine Lehrprobe (Zwischenprüfung) genau dieses Thema der Teamphasen und wie diese mit Mitteln aus dem (Improvisations-)Theater greifbar gemacht werden können, aufgegriffen. Vielleicht wäre das auch ein Thema für ihren Blog.
Viele Grüße,
Mario Blasi / VRN GmbH
Hallo Herr Blasi,
vielen herzlichen Dank für Ihren Kommentar. Ich finde genau diese Tatsache – nämlich dass das Modell als iterativer Prozess zu betrachten ist – macht die Gruppenphasen bzw. das Modell von Tuckman so interessant. Bezüglich Umgang damit darf ich Sie auf den kommenden zweiten Teil dieses Blog-Artikels verweisen. Sie dürfen gespannt sein. 😉
Besonders spannend finde ich den tatsächlich Umgang mit diesen Gruppenphasen und den Möglichkeiten, diese gegebenenfalls gezielt zu steuern und zu beeinflussen. Über einen intensiveren Austausch dazu würde ich mich sehr freuen.
Und wenn Sie Lust haben, dann freue ich mich natürlich sehr über einen Gastbeitrag von Ihnen in meinem Blog. 😉
Liebe Grüße
Steffen